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Retreat-Rückzug in die Meditation

Dienstag, 11. Januar 2011

Unsere Zeit in der Meditation

Unsere Zeit in der Meditation
Wer den nachfolgenden Bericht über unsere Zeit in der Meditation liest, wird vielleicht etwas oder sehr überrascht sein. Es wirkt teilweise sehr konfus, ohne Zusammenhang und was wir heute gut finden ist morgen vielleicht grottenschlecht oder umgekehrt. Das liegt daran, dass wir kontinuierlich aufgeschrieben haben, wie es uns ging und was passiert ist. Wir haben anschließend weder die Reihenfolge geändert noch unlogische Dinge richtig gestellt. So seltsam wie wir die Tage in der Vipassana Meditation hier schildern, so haben wir sie auch empfunden. Wir haben uns für den Kurs angemeldet ohne zu wissen wie der Ablauf ist, es gibt kein Programm.



Die ersten Tage
Was uns in den ersten Tagen zu schaffen machte, waren die enormen Temperaturunterschiede. Nachts hatten wir 15 Grad und in den unbeheizten Zimmern sank die Temperatur ebenfalls auf 17 Grad. Von 4 Uhr morgens bis zum Sonnenaufgang gegen 8 Uhr, war es also nicht nur dunkel, sondern auch kalt. Kurz nachdem die Sonne aufgegangen war, wurde es wohlig warm, im Durchschnitt etwa 27 Grad.

Die Kälte kam abends mit dem Sonnenuntergang, um 18 Uhr, sofort zurück. Unsere Kältekleidung hatten wir schon nach Deutschland zurück geschickt, sonst hatten wir auch nicht viel anzuziehen. Während der gesamten Ausbildung muss einheitlich „weiß“ getragen werden, die Farbe der Novizen, also der Mönche in Ausbildung. Wobei wir natürlich nicht anstreben, Mönche zu werden. Wir haben viel heißen Tee getrunken, das hat auch gegen den Hunger geholfen.
Ach ja, fast hätte ich vergessen die Soja Milch zu erwähnen. Da es abends nichts zu essen gibt, bekommt jeder einen Beutel Soja Milch mit Ingwer zu trinken. Wir werden uns daran gewöhnen.
Schon am zweiten Tag stellen wir fest, wie anstrengend diese Meditationen sind. Um die Übungen perfekt zu machen, bedarf es der vollen Konzentration über einen langen Zeitraum. Wir stellen fest, dass es harte Arbeit ist.
Heute ist Silvester, der vierte Tag im Kurs. Die Anstrengungen der letzten Tage haben uns ganz schön geschlaucht. Es gibt auch heute nicht mehr zu Essen. Silvester ohne gutes Essen und Sekt ist schon seltsam. Ein paar Raketen sehen wir am Horizont, ansonsten gehen wir gegen 21 Uhr schlafen, um 4 Uhr wird wieder geweckt. Wenn wir morgen um 6 Uhr frühstücken, beginnt in Deutschland das neue Jahr.
Morgens um 6 Uhr (24 Uhr MEZ) haben wir übrigens in Anlehnung an Silvester/Neujahr in Europa noch ein Paar Raketen auf dem Gelände gestartet und damit wohl einige aus dem Bett geschmissen, die nicht früh aufstehen müssen.
Am vierten Tag sind die Zeiten für die Gehende und die Sitzende Meditation bei je 25 Minuten. Für mich eine lange Zeit, da wir am Tag etwa 10 Stunden meditieren sollen. Mein Rücken meldet sich seit Tagen schmerzhaft schon nach wenigen Minuten. Die Konzentration als Basis für die Übungen wird immer schwerer – und jeden Tag kommen 5 Minuten dazu. Die Übungen werden immer umfangreicher und die Genauigkeit der Abläufe soll ebenfalls immer besser werden.


Unsere Stimmung ist durchwachsen, bei mir eher negativer als bei Katharina. Das einseitige Essen, morgens Porridge oder Müsli, mittags immer Reis mit gekochtem Gemüse, drückt zusätzlich auf das Gemüt – aber Essen und Abwechslung sind laut Aussage unseres Lehrers nicht wichtig. Der Körper soll sich dadurch nur satt fühlen und genug Nährstoffe und Energie haben um zu überleben. Überleben werden wir wohl.
Die Anstrengungen sind ganz andere als im Himalaja. Dennoch ziehen wir immer öfter Vergleiche und sind nicht mehr sicher, ob der Himalaja gegen diese Meditation nicht ein Spaziergang war – jedenfalls gab es dort ausreichend Essen und Schlaf.
Ich möchte an dieser Stelle einmal deutlich sagen, dass meine manchmal sarkastischen und kritischen Bemerkungen meinen Empfindungen entsprechen und das Programm weder schlecht machen, noch in Frage stellen wollen. Alles was wir hier machen ist freiwillig, jeder kann zu jeder Zeit seine Sachen packen und gehen.

Der 5. Tag
Am fünften Tag wird Katharina und mir im Einzelreporting gesagt, dass wir zu eng miteinander im Kontakt stehen. Gemeinsame, für uns sehr seltene und kurze Gespräche, sind nicht gut für unsere Entwicklung im Basiskurs. Wichtig ist es, noch weiter auf Distanz zu gehen, auf Gespräche und Kontaktaufnahmen ganz zu verzichten und versuchen zu schweigen. Vipassana vertritt die Theorie, dass sonst der eine vom anderen die Probleme, das Wohl- oder Unwohlfühlen, mit seinen eigenen Gefühlen und Gedanken vermischt und dies den eigenen Erfolg im Programm behindert oder sogar gefährdet. Für mich ist dies ein Grund über das Abreisen nachzudenken. Mir gibt der Rahmen hier schon etwas das Gefühl im Gefängnis zu sein. Mir fehlen die langen Spaziergänge der letzten Wochen, die Möglichkeit mich zu bewegen.
Seit der Aufforderung nun noch weiter von Katharina abzurücken, habe ich ein Gefühl von Einzelhaft.
Es ist schon seltsam, hier im Gästehaus so lange und so eng mit Menschen zusammen zu leben und dennoch nicht mit ihnen sprechen zu können.
Martin hat uns erklärt, dass die volle Konzentration auf den Meditationsübungen liegen muss. Das Bewusstsein bekommt so keinen Raum mehr zum nachdenken. Gedanken über Vergangenes oder die Zukunft sollen ausgeschaltet werden, erst gar nicht mehr aufkommen. Es wird damit der „Present Moment (Augenblicklicher Moment)“, also das Leben „im Hier und Jetzt“ angestrebt.
Ein Effekt dieser Übungen ist dann aber auch, dass unser Geist nicht mehr genügend zu tun hat, es fehlt die Beschäftigung. Also werden Dinge hoch geschwemmt, die irgendwo im Unbewusstsein vergraben sind. Plötzlich sind alte Ereignisse gegenwärtig. Längst vergessen geglaubte Dinge sind wieder da. Das drückt gewaltig auf die Stimmung und wir rasen von Himmel hoch jauchzend runter bis tief besorgt und deprimiert. Dies ist eine seltsame Erfahrung für uns, da sie in diesem Programm gewollt ist.
Im Reporting sage ich deutlich, dass ich voller Zweifel, voller Ärger und Wut bin und am liebsten gehen möchte. Und das ist gut – sagt Martin. Das ist genau der Effekt, der im Vipassana angestrebt wird – sagt Martin. Wichtig sind jetzt Eigenschaften wie Vertrauen, Weisheit, Anstrengung und Konzentration. Wenn diese mit Achtsamkeit angewandt werden, wird die Meditation ein Erfolg werden. Ich kann das im Augenblick nicht erkennen. Ich möchte nur, dass der Schmerz im Rücken nachlässt.
Buddha hat gesagt, wir müssen als Menschen Schmerzen (pain) ertragen, in unserem Leben Leid (suffering) ertragen und werden das Leben nie kontrollieren (no controling) können.

Der 6. Tag
Ab heute sind für jede Meditation 40 Minuten vorgesehen – Uff. Vor dem Frühstück war das Gefühl von Müdigkeit und Lustlosigkeit sehr stark. Ich wollte nur noch packen und gehen.
Rücken, Schultern und Beine schlafen immer wieder ein, die Muskeln verkrampfen sich, alles ist ein einziger Schmerz.
Heute kommt zum ersten Mal die Frage auf, ob das so vielleicht richtig ist. Eventuell sind die Schmerzen doch nicht nur physisch, sondern haben eine bewusste, psychische Ursache? Vielleicht will mein Bewusstsein gar nicht das Tor zum Unbewussten öffnen, nur im Jetzt leben und macht daher alles Mögliche, damit ich aufgebe? Zum Einen durch die Schmerzen, die mich diesen Kurs immer wieder abbrechen lassen wollen. Auf der anderen Seite sind immer wieder die Gedanken an die Vergangenheit und die Zukunft da, es fällt mir sehr schwer im „Hier und Jetzt“ zu bleiben. Mein Wille wird aktiviert in der alten Art und Weise weiter zu machen. Wozu soll die Meditation auch schon gut sein, es war doch eigentlich bisher in meinem Leben alles in Ordnung?
Die Meditation soll Veränderungen bringen, die mein Bewusstsein durch meinen Körper anscheinend blockiert? Das bedeutet dann aber für mich, die Schmerzen zu ignorieren und zu überwinden, mich gegen die Macht meines Bewusstseins zu wehren und nicht bezwingen zu lassen.
Das ist eine abenteuerliche und für mich eine fast unglaubliche Vorstellung, dass so etwas möglich sein soll. Auf der anderen Seite kann ich den Glauben daran einfach einmal zulassen, was kann schon passieren, wenn ich annehme, dass es so ist.
Ich will den „Present Moment“ erleben, ihn in mein Leben hineinlassen, egal was es an Kraft und Geld kostet.

Der 7. Tag
Die Übungen dauern von heute an 45 Minuten, das ist schon eine Herausforderung.
Und sich gegen das Bewusstsein und die von diesem verursachten Schmerzen zu wehren, das sagt sich eben sehr leicht. Ich stelle fest, dass mein Bewusstsein sehr stark ist und sich nicht so leicht übertölpeln oder reglementieren lässt.
Für mich ist der heutige Tag einfach nur unter schrecklich abzuhaken. Ich fühle mich traurig, habe an allem was ich hier mache Zweifel, bin ärgerlich und auch wütend auf mich, dass ich diesen Unsinn weiter mitmache und noch nicht gegangen bin.
Mittags bin ich eingeschlafen und nach einer halben Stunde aufgewacht. Ich hatte einen fürchterlichen Alptraum, der bei mir noch zusätzlich Angstgefühle hinterlassen hat.
Alles in Allem ein sehr meditativer Tag, der mir kein einziges positives Gefühl gebracht hat. Mir ist total unklar, wie ich das noch 6 Tage aushalten will?

Der 8. Tag
50 Minuten Gehmeditation sind in Ordnung. Die Sitzende Meditation ist heute etwas besser als bisher. Ich habe zwar häufig meine Sitzposition ändern müssen, die Zeiten kann ich aber einhalten. Während einer Übung hat es einen lauten Knacks in meinem Kopf gegeben. Ich hoffe, das war der Klick, der nun eine Veränderung in meinem Denken bringt. Meine Grundeinstellung wird etwas positiver, ich lasse heute mehr Dinge einfach laufen. Es geht mir nicht gerade gut, ich bin aber auch nicht mehr so negativ eingestellt wie bisher.
Alles was ich an negativen Gefühlen habe, bis zum Wunsch abzureisen, ist übrigens sehr gut. Bei den morgendlichen Reportings erzähle ich Martin haarklein, was am gestrigen Tag war und wie es mir ging. Er sieht alles, was ich ihm sage als gutes Zeichen dafür an, dass der Prozess (mir ist noch immer nicht klar, was das bedeutet) in vollem Gange ist.
Heute sagt er übrigens, dass ich mich nicht so stark auf die Übungen konzentrieren soll. Die Abläufe sind grundsätzlich klar, obwohl jeden Tag neue Übungsteile dazu kommen. Die neuen Dinge einzubauen fällt übrigens nicht sehr schwer. Es ist nun wichtiger, so Martin, immer mehr im „Hier und Jetzt“ zu bleiben, im „Present Moment“. Dazu können die Übungen unterbrochen werden, um mit allen Sinnesorganen wahrzunehmen, was im Moment rundherum passiert. Diese Dinge soll ich bewusst wahrnehmen. Alles was kommt annehmen so wie es ist, das ist ab sofort die Devise. Und genau das scheint auch mit dem Begriff Achtsamkeit gemeint zu sein.
Langsam beginne ich zu verstehen, warum dieser Kurs 15 bis 21 Tage dauert. Was ich heute lerne, ist morgen nicht mehr wichtig, es gibt dann andere Prioritäten. Alles baut aufeinander auf und das braucht halt seine Zeit.
Übrigens habe ich auch an diesem 8. Tag noch alle meine Sinne beieinander, auch wenn sich dies für den Leser vielleicht nicht immer so anhört. Ich versuche in diesem Blog nicht nur sachlich zu berichten, sondern auch wiederzugeben, was bei mir auf der seelischen und psychischen Ebene passiert.

Der 9. Tag
Mit 55 Minuten Meditation werden ganz neue Schritte begonnen. Für mich heißt das verschärfte Einzelhaft. Katharina und ich werden nun ganz getrennt, was sicherlich auf dem doch begrenzten Raum nicht ganz einfach ist. Außerdem sind wir im Augenblick nur mit 4 Schülern hier, es ist daher nicht ganz leicht sich aus dem Weg zu gehen.
Es werden in Anbetracht des Endes des Kurses die letzten Schritte der Gehmeditation einstudiert und bei der Sitzmeditation die letzten Berührungspunkte angesprochen.
Davon hatte ich noch nicht geredet? Bei der Sitzmeditation geht es um das Beobachten des Atems. Beobachtet wird das Einatmen und Ausatmen im Bauch, Heben und Senken der Bauchdecke. Dann soll der ganze Körper in der sitzenden Position gespürt werden und dabei werden die Berührungspunkte, insgesamt 28 Punkte am Körper imaginär, also gedanklich angestoßen.
Ab heute ist es wichtig, sich ganz in sich zurückzuziehen. Niemand anderen mehr beachten, nicht anschauen, nicht reden, jeder ist nur noch bei sich selbst. Acknowledge (annehmen oder nur notieren) aller Dinge, die passieren ist wichtig, ohne zu werten oder diese zu hinterfragen. Im „Hier und Jetzt“ nur registrieren, dass etwas passiert ist, sehen, hören, spüren, mehr nicht. Das kann ein Gedanke sein, der gerade durch den Kopf geht, eine Autohupe oder ein bellender Hund. Wichtig ist, alle Dinge wahrzunehmen (sich in Achtsamkeit zu üben), die wir in unserem Alltag nicht mehr registrieren. Wir haben es einfach in unserer schnelllebigen Zeit verlernt. Achtsamkeit ist der Begriff, der hier in diesem Zusammenhang immer wieder fällt.
Die Gehmeditation läuft sehr gut, bei der Sitzmeditation spüre ich noch immer meinen Rücken. Mittlerweile ist es egal, ob etwas auf mir rumkrabbelt, Fliege oder Ameise, ich kann es hinnehmen. Ich habe heute 3 Meditationen von 2 Stunden und noch 2 Meditationen von 1 Stunde geschafft, eine sehr lange Zeit für mich.
Heute Abend beginnt ein neuer Zyklus, schlafen gehen erst ab 23 Uhr, bis dahin Meditationen mit nur noch kurzen Pausen zwischendurch. Laut Martin müssen 5 Stunden Schlaf reichen. Heute kommt zum ersten Mal der Begriff des „Ego“ ins Gespräch. Wenn ich an den letzten Tagen geschrieben habe, dass unser Bewusstsein all unser Tun steuert und auch reglementiert, so wird dies ab heute mit dem Ego bezeichnet. Dieses sorgt bei allen Menschen dafür, dass wir alte Strukturen beibehalten, keine Veränderungen oder Risiken eingehen. Das Ego eines Menschen möchte nichts Unbekanntes zulassen. Dieser Vipassana Meditationskurs muss für unser Ego eine große Gefahr darstellen, daher wehrt es sich, beispielsweise durch starke Schmerzen, gegen die Teilnahme und den Erfolg der Meditation. Ich bin sicher, dass dies für viele Leser eine abenteuerliche Theorie sein muss. Viele werden sagen, wo im Körper ist dieses Ego denn angesiedelt? Erst eine Seele, jetzt ein Ego? Nun, es ist natürlich unser Bewusstsein, unsere Gedanken die uns nie im Hier und Jetzt lassen, sondern uns immer durch die Vergangenheit oder in das Kopfkino der Zukunft treiben. Was hat das nun mit weniger Schlaf zu tun? Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass unser Ego mit Schlafentzug nicht umgehen kann. Es wird unaufmerksam und verliert den Überblick. Schlafentzug ist daher ein probates Mittel, um das Bewusstsein und damit das Ego zu überlisten und auszuschalten.

Der 10. Tag
Es sollte der Tag werden, an dem erstmals eine Stunde meditiert wird. Ich habe es nach dem Reporting auch geschafft 2 X 60 Minuten zu meditieren.
Dennoch ist es wohl der schlimmste Tag dieses Meditationskurses.
Morgens bin ich erst einmal mit einem geschwollenen Auge aufgewacht. Ein dicker Mückenstich auf dem Augenlid hat dieses ganz zuschwellen lassen. Soviel zum Thema auf mir kann jetzt alles rumkrabbeln, ich töte auch keine Mücken mehr.
Meine Laune ist so schlecht wie noch nie, seit ich hier im Kurs bin. Wenn die Theorie vom Ego stimmt, hat mein Ego den Kampf gegen die Meditation fast schon gewonnen.
Martin fragt mich, ob ich glücklich, unglücklich oder neutral bin – natürlich bin ich unglücklich, also Scheiße drauf.
Katharina ignoriert mich total, sie hält sich plötzlich an die Spielregeln hier im Kurs. Sie hatte schon am vierten Tag gesagt, sie möchte den Kurs gerne zu Ende machen. Sie würde sich sonst immer vorwerfen, diese Chance, etwas zu verändern, nicht genutzt zu haben. Ich hätte Schluss gemacht und wäre abgereist. Sie zieht den Kurs anscheinend konsequent bis zum Ende durch, egal was dabei rauskommt.
Mir ist heute mal wieder total unklar, worum es hier geht und vor allem was das Ziel ist. Mir erklärt auch niemand genau, was wir hier eigentlich machen.
Auf jeden Fall redet jetzt außer dem Lehrer Martin und Peter niemand mehr mit mir – verschärfte Einzelhaft nenne ich das. So ein Kurs mag vor 2500 Jahren für Buddha und die Mönche in einem Kloster Sinn gemacht haben – aber heute? Außerdem hat Buddha 60 Tage allein in Askese unter einem Baum verbracht, er hatte Zeit zum meditieren.
Habe Katharina in einem „geheimen Gespräch“ gesagt, dass ich keine Lust mehr habe und am liebsten abhauen würde. Ich bleibe nur da, damit sie den Kurs beenden kann. Irgendwie gebe ich ihr die Schuld, dass alles schief läuft – und damit bin ich raus aus der Verantwortung.
Aber was macht meine weise Frau? Sie geht zu Martin und bittet um ein Gespräch zu dritt, um den Kurs zu beenden und danach abreisen zu können – und damit bin ich wieder drin in der Verantwortung.
Also los, zum Gespräch mit Martin. An diesem Lehrer für Vipassana Meditation ist ein guter Systemischer Coach verloren gegangen. Er bietet uns an, am anderen Morgen zu gehen, kein Problem. Er hält es aber für besser, noch einen Tag zu bleiben, um wieder auf den normalen Level der Welt „da draußen“ zu kommen und dann erst zu gehen – macht auch Sinn.
Am Besten fände er es aber, im Programm weiter zu machen. Wir haben so viele Tage hart gearbeitet und wollen nun kurz vor dem Gipfel alles hinschmeißen. Er macht aber auch kein Geheimnis daraus, dass die letzten Tage noch harte Arbeit werden, es sich aber lohnt zu bleiben. Worin die harte Arbeit besteht, will er uns aber nicht sagen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir nicht einmal eine leise Ahnung, wie sehr er uns noch an unsere Grenzen bringen wird. Wir wären sonst wohl doch beide gegangen.
Irgendwann während des Kurses hatte ich für mich festgelegt, dass ich den „Present Moment“ erleben will, egal was es mich kostet. Daran erinnere ich jetzt wieder. Die Entscheidung liegt bei uns. Er lässt uns zur Beratung allein und Katharina und ich entscheiden uns, doch zu bleiben.
Haben wir wirklich selbstständig entschieden oder hat uns Martin nur gut gecoached? Auf jeden Fall scheint es die richtige Wahl zu sein.

Die letzten Tage
Diese Tage beginnen bei mir mit viel positiven Gedanken. Es sind noch wenige Tage und wir sind geblieben – sehr gut. Nach dem Frühstück, natürlich Porridge, geht es zum Reporting (Morgenbesprechung), das übrigens immer in der kleinen, buddhistischen Kapelle stattfindet.
Katharina und ich gehen übrigens einzeln zur Morgenbesprechung, nacheinander und meistens beginnt sie. Als sie etwas verwundert rauskommt, ist das für mich noch kein Anlass zur Sorge.
Dann kommt der große Moment auch für mich. Wir gehen ab heute in die letzten Tage für die es feste Programmabläufe gibt. Diese sind so aufgebaut, dass es durch spezielle Übungen darum geht, in den Present Moment zu kommen. Es gibt eine feste Regelung für das Schlafen. Die Pausen zwischen den Meditationen werden stark verkürzt, es reicht gerade noch um einen Tee zu trinken oder zu essen. Jetzt wissen wir, was Martin mit „harte Arbeit“ meinte. Es gibt für diese letzten Tage feste und genau einzuhaltende Programmabläufe. Die einzelnen Meditationen werden immer wieder komplett nacheinander ausgeführt. Die Technik beherrschen wir mittlerweile sehr gut, es geht also wohl darum, das Ego immer weiter zu ermüden, damit es die Kontrolle verliert und wir nur noch im „Hier und Jetzt“ sein werden.
Und nun verstehe ich endlich, um was es bei Meditation wirklich geht. Es hat nichts mit Entspannung zu tun oder damit Stress abzubauen. Auch nicht, damit negative Gedanken zu verscheuchen. Das alles sind vielleicht Nebeneffekte.
Der Kern der Meditation ist es, im „Hier und Jetzt“ zu sein und nicht mehr in der Vergangenheit oder der Zukunft zu leben. Und das kann man nur, wenn man in einem solchen Kurs einmal den „Present Moment“ erlebt hat, genau darauf arbeiten wir seit fast 2 Wochen hin, jetzt ist das Ziel klar und deutlich vor uns.
Die erste Nacht im Programm haben wir hinter uns. Seit gestern Abend gehen wir immer wieder die gleichen Meditationsübungen durch. Es ist von Stunde zu Stunde immer anstrengender, die Müdigkeit wird immer stärker. Nachts um 3 Uhr haben wir eine neue Aufgabe bekommen, die heute bis in den Nachmittag durchgeführt werden soll. Dabei soll, um ein Beispiel unserer Arbeit zu geben, aufgeschrieben werden, wie oft wir bei der Meditationsübung einnicken oder wie oft unser Körper zusammenzuckt und sich erschrickt. Wie oft wir kurz vor dem Umfallen wieder aufwachen.
Auch das Frühstück und das Mittagessen bringen nicht wirklich eine Entspannung. Wichtig ist es seit gestern Abend immer in Aktion zu bleiben, sich nicht hinzulegen. Das bedeutet in jedem Fall einschlafen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick und das sollen wir verhindern. Langsam bemerken wir, dass das Ego immer stärker seine Kraft und Macht verliert. Auch die Schmerzen bei der Meditation lassen nach, es gibt keine Gedanken mehr, die wie wilde Affen durch die Gegend sausen. Mit der Müdigkeit werden Körper und Geist immer ruhiger und gelassener. Je intensiver ich das Programm mache, umso stoischer werde ich, ich bekomme ein Scheißegal Gefühl. Ich bemerke, dass ich immer besser im „Hier und Jetzt“ bleibe, es geht nur noch um den „Present Moment“. Zur Vergangenheit und zur Zukunft kommen keine Gedanken mehr auf.
Heute Abend gibt es noch eine neue Übung für die Zeit bis zum morgigen Tag.
Die Übungen für die letzten Stunden waren klar und einfach auszuführen. Es ging endlich darum, seinen „Present Moment“ zu finden. Da dies der entscheidende Punkt dieses Kurses ist, will ich kurz umschreiben, was wir gemacht haben.
Jede Meditation beginnt mit speziellen Ritualen.
Dann kommt der entscheidende Punkt. Ich bitte darum, während der Sitzmeditation für 5 Minuten den Zustand der Meditation ohne die Wahrnehmung äußerer Vorgänge zu erfahren. Ist dieser Zustand für 5 Minuten oder länger erreicht, dann haben wir den „Present Moment“ gefunden und befinden uns im „Hier und Jetzt“. Ist dieser Punkt einmal erreicht, kann er soweit trainiert werden, dass er bei jeder Meditation zu erreichen ist.
Und genau darum ging es in der letzten Nacht. Im Zustand der Müdigkeit und unter Ausschaltung des Ego zum ersten Mal den „Present Moment“ zu erreichen.
Nach unserer letzten Morgenbesprechung haben wir uns am Vormittag geduscht und umgezogen und können nun diesen Tag in Ruhe und ohne Programm ausklingen lassen, um uns wieder an den normalen Alltag da draußen zu gewöhnen.
Morgen geht es dann weiter nach Bangkok.


Resümee
Albert Einstein hat gesagt: “Der größte Wahnsinn ist es, etwas verändern zu wollen und doch alles beim Alten zulassen.“ Wir sind entschlossen, etwas zu verändern, deshalb sind wir hier.
Wichtig ist der „Present Moment“, wir leben in unserer Wohlstandsgesellschaft fast gar nicht mehr im „Hier und Jetzt“. Viele Menschen glauben mit Schnellkursen oder mit Hilfe von Büchern das Meditieren lernen zu können. Wir haben in unserem Kurs erfahren, dass Meditieren zu lernen harte Arbeit ist, die zu tun sich aber wohl lohnt.
So ein Basiskurs ist natürlich wie eine Achterbahnfahrt. Es geht rauf und runter, mal langsam, manchmal aber auch rasend schnell und niemand weiß, was sich hinter der nächsten Höhe befindet, geht es dort rauf oder runter?
Es ist wie im normalen Leben. Nie wissen wir, was im nächsten Augenblick geschieht. Was vergangen ist, ist vergangen und egal, was wir tun, wir können es nicht mehr verändern. Und was morgen ist, wissen wir ebenfalls nicht. Wir können viel planen oder uns vorstellen, wir können hunderte von Szenarien konstruieren, es kommt fast immer anders. Daher kann nur das Leben im Moment wichtig sein.
Das Erlernen von Meditation ist nach meiner Meinung nicht einmal pro Woche von 19 -21 Uhr in einem Schnellkurs an einer VHS zu erledigen. Jeder, der glaubt, einen Kurs über mehrere Tage wie wir zu machen, sei Ausruhen, viel freie Zeit und in der Sonne liegen, ist ebenfalls im Irrtum. Wir jedenfalls mussten lernen, dass dies ein Trugschluss ist. Wer wirklich lernen will zu meditieren, sollte sich auf Tage mit harter körperlicher und geistiger Arbeit vorbereiten. Wenn wir erfolgreich sein wollen, fordert ein solcher Kurs alles von uns.
Dabei ist es übrigens nach meiner Meinung egal, ob es Vipanassa Meditation ist oder ob der Kurs in Deutschland oder im Ausland stattfindet. In den Jahrhunderten der Entwicklung von Meditation bis in die heutige Zeit, haben sich viele Formen entwickelt. Wenn diese ernsthaft betrieben werden, sind sicherlich die meisten Kurse davon gut.
Wir haben mit Vipanassa eine sehr gute, zufällige Entscheidung getroffen. Wir hatten einen sehr guten und erfahrenen Lehrer, einen sehr guten Assistenten und einen Ausbildungsort in Thailand, der alles möglich gemacht hat.

Das Wichtigste was zu lernen ist, ist die Achtsamkeit (Mindfulness) – uns ist es Dank unserer Ausbilder gelungen.

Katharina und ich haben in unserer letzten Nacht der Meditation beide den „Present Point“ gefunden, daher war der Kurs für uns erfolgreich. Wir haben damit zum ersten Mal das Gefühl gespürt, nur im „Hier und Jetzt“ sein zu können.

Wer meditieren will, sollte nicht lange überlegen, sondern anfangen.

Alle hier beschriebenen Angaben und Kursinhalte sind übrigens unter Vipassana Meditation im Internet nachzulesen. Bemerkungen wie auch Bewertungen zu Kursinhalten und Kursabläufen sind meine persönliche Meinung und spiegeln nicht die Meinung der Lehrer des Meditationskurses wieder. Trotz vieler kritischer Bemerkungen war dieser Kurs für mich eine erfolgreiche Erfahrung, von der ich keine Minute missen möchte.
Vielen Dank dafür an unseren Lehrer Martin und seinen Assistenten Peter. Beide haben ihre Aufgabe aus unserer Sicht mit Bravour gelöst.


Günter Loewke

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